Warum die Evergrande-Pleite nicht das Zeug zum Systemrisiko hat
Derzeit schwebt ein ganzes Bündel an Belastungsfaktoren wie ein Damoklesschwert über den Aktienmärkten. Stark steigende Energiepreise, hohe Inflationsraten in Höhen, Ängste vor einem vorzeitigen Ende der bislang vorherrschenden ultralockeren Geldpolitik und gleichzeitig eine weltweit nachlassende Konjunkturdynamik. In den USA könnte sich außerdem der Streit um die Schuldenobergrenze zu einer länger anhaltenden Belastung für die Märkte auswachsen. Nicht zuletzt: Mit der Pleite des chinesischen Immobiliengiganten China Evergrande fürchten einige Marktteilnehmer ein Systemrisiko mit den Ausmaßen der Lehman-Krise, welche im Jahr 2008 der Auslöser für die weltweite Finanzkrise war.
Norbert Frey, Leiter Fondsmanagement der Fürst Fugger Privatbank, hält diese Ängste für übertrieben: „Bei Evergrande handelt es sich vornehmlich um ein begrenztes Problem innerhalb Chinas.“ Die Insolvenz von Evergrande sei das Ergebnis einer strengeren Regulierung des Immobiliensektors, die sich im Laufe des letzten Jahres in China deutlich verschärft habe. „Pekings Ziel ist es, die Wirtschaft nachhaltiger auszurichten. Es strafft daher seine geldpolitischen, fiskalischen und regulatorischen Zügel. Diese Politik trifft Unternehmen mit einer hohen Verschuldung besonders stark“, so Frey weiter. Von diesen schärferen Regeln sei der Immobiliensektor besonders betroffen, aber auch andere Sektoren. Die chinesische Regierung wolle ausufernde Spekulationen verhindern und so inflationäre Preiserhöhungen und eine überbordende Fremdfinanzierung vermeiden.
„Bereits in der Vergangenheit hat Peking kleinere Unternehmen Pleite gehen lassen“, erklärt Norbert Frey, „allerdings wurde stets von staatlicher Seite eingegriffen, wenn es sich um systemrelevante Firmen handelte.“ Ein Blick zurück in die Börsenhistorie zeige, dass in der überwiegenden Mehrheit der Fälle, in denen einzelne Firmen-Pleiten die Stabilität des globalen Finanzsystems gefährdet hätten, bestimmte Teile der Wirtschaft überschuldet waren, ohne dass die Politik und die Kapitalmarktteilnehmer dies auf dem Radar gehabt hätten. Darüber hinaus seien die betroffenen Papiere international weit verbreitet gewesen und hätten daher maximalen Schaden anrichten können. Dies sei hier anders, so Frey: „Peking handelt sehr gezielt in Bereichen wie dem Schattenbankwesen, der Verschuldung im Immobiliensektor und der Kreditvergabe über Zahlungs-Apps vor und geht damit präventiv gegen mögliche Problembereiche vor. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass durch die massiven Probleme einer einzelnen Immobilienfirma den Märkten einen umfassender Rücksetzer bevorsteht.“