EZB im Dilemma
Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellt die Märkte auf harte Monate ein: nicht nur auf weitere Zinserhöhungen, sondern auch auf eine substanzielle Abschwächung der Wirtschaft. Auch in den USA ist die Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen geschrumpft. Gleichzeitig ist jedoch die Arbeitslosigkeit weiter gefallen – ein bisher einmaliger Vorgang. Die Fed kann sich daher ganz auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren. Anders in Europa: Die EZB hat den Zinserhöhungsprozess viel später eingeleitet als die Fed und steht nun unter Zugzwang.
Ein wirtschafts- und strukturschwaches, rohstoff- und exportabhängiges Europa verkraftet deutliche Zinsschritte weniger gut als die USA. Im Gegensatz zur Fed muss sich die EZB auch um einige hochverschuldete Länder kümmern. Tut sie das nicht, droht die nächste Schulden- bzw. Euro-Krise.
Obwohl die EZB seit ihrer Gründung noch nie die Zinsen in einem Schritt so stark angehoben hat wie zuletzt, geht der Markt schon für die nächste EZB-Sitzung von weiteren 0,75 Prozent Anhebung aus. Und doch ist fraglich, ob dies ausreicht, um die Rekordinflation schnell eindämmen zu können. Die liegt in der Euro-Zone mittlerweile bei 9,1 Prozent und ist damit mehr als vier Mal so hoch wie das anvisierte Stabilitätsziel von jährlich zwei Prozent.
Auf einen Großteil der Inflation hat die EZB überhaupt keinen Einfluss, etwa auf Lieferketten-Engpässe oder die höheren Energiepreise als Folge des Ukraine Krieges. Hinzu kommen die Forderungen der Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen. Steigende Löhne heizen die Inflation zusätzlich an. Auf kurze Sicht werden die Preise eher weiter nach oben gehen, zumal der schwache Euro Preissteigerungen über die Rohstoffseite importiert. Im Herbst ist sogar mit zweistelligen Inflationsraten zu rechnen. Die Inflation ist also gekommen, um zu bleiben.
Das Ifo-Institut warnt vor einer bevorstehenden Winterrezession. In einer verunsicherten Welt mit Rezessionsgefahr warten Anleger daher umso mehr auf (Zins-)Klarheit der Notenbanken. Die Märkte üben sich weiter in Skepsis. Insbesondere die zuletzt große Unruhe bei US-Staatsanleihen dürfte sich im Börsen-Herbst auch in einer zunehmenden Aktienschwankung niederschlagen.