Die Liquiditäts-Junkies an der Wall Street starten mit der Geld-Entziehungskur

Kommentar

Der Präsident der US-Notenbank, Jerome Powell, hat angekündigt, mit dem Rückbau der Anleihenkäufe zu beginnen: Anstelle bisher 120 Mrd. US-Dollar im Monat für Anleihenkäufe aufzuwenden, will die FED dieses Programm nun jeden Monat um 15 Mrd. US-Dollar reduzieren. Es wird erwartet, dass die Maßnahme dann in der zweiten Jahreshälfte 2022 komplett auslaufen soll.

Bemerkenswert an dieser Aktion war die Reaktion der Wall Street: es gab nämlich keine. Das war überraschend, gelten die Börsianer doch mittlerweile als abhängig von der Droge des billigen und vielen Geldes, also als regelrechte „Liquiditäts-Junkies“. Es ist noch nicht lange her, da reagierten sie allein schon auf Ankündigungen eines Kurswechsels der Notenbank mit Panikverkäufen, die die Kurse abtauchen ließen – vor allem die der hochbewerteten High-Tech-Werte. Und nun? Nichts dergleichen. Keine Nebenwirkungen. Weder der breite Markt noch der High-Tech-Index NASDAQ geraten bisher unter Druck.

Warum lieben die Börsianer plötzlich diese Entziehungskur? Da dürfte Erleichterung eine große Rolle spielen, denn die Schritte hätten weitaus heftiger ausfallen können. Vor allem hätten auch die Zinsen steigen können. Insofern war es gut, dass FED-Chef Jerome Powell gleichzeitig mit dem neuen Beschluss die Gemüter beruhigte: „Wir glauben nicht, dass es an der Zeit ist, die Zinsen anzuheben.“ Genau das war es, was der Markt hören wollte. Die FED scheint einen Mittelweg gefunden zu haben, den „Entzug“ schrittweise und verträglich zu gestalten und einen sanften Einstieg in den Ausstieg aus der Politik des leichten Geldes zu praktizieren. Und die Börse trägt diesen Weg mit.

Problematisch ist da eher die Politik. In Europa hat sich der Druck der Politik auf die EZB, immer mehr Schulden zum Nulltarif machen zu wollen, so verfestigt, dass dort nicht einmal über solche Schritte nachgedacht werden darf. Nach dem Brexit und dem Ende der CDU-Kanzlerschaft in Deutschland gibt es keinen großen EU-Staat mehr mit einer konservativ geführten Regierung. Allerorts will Sozial- und Klimapolitik gemacht und auch finanziert werden. Meist mit Gelddrucken. In einem solchen politischen Umfeld sind ähnliche Schritte wie in den USA derzeit nicht zu erwarten. Nicht vergessen werden darf, dass auch die gegenwärtige Inflation für die europäischen Regierungen und die EZB positiv ist, denn nur so werden die Schuldnerländer, v.a. in Südeuropa, ihre Schuldenquoten senken können.

Doch auch die USA sind nicht das geldpolitische gelobte Land. Präsident Biden muss sich entscheiden, welchen grundsätzlichen Weg er anstrebt: eine Rückkehr zur geldpolitischen Normalität oder eine Forcierung der Gelddruckmaschinerie. FED-Chef Jerome Powells Amtszeit endet in Kürze und Biden muss eine Nominierung aussprechen. Man muss sich dazu vergegenwärtigen, dass die US-Demokraten eher ein Wahlbündnis als eine Partei im deutschen Sinne darstellen. Trump konnte nur geschlagen werden, weil es der Parteiführung gelungen war, auch Politiker und Wähler aus dem linken Spektrum zu aktivieren. Die politische Bandbreite der demokratischen US-Parlamentsmehrheit reicht damit gewissermaßen vom linken Flügel der CDU über SPD und Grüne bis hin zu Stimmen und Standpunkten, die hierzulande bei der Linken zu verorten wären. Biden hat also Druck von zwei Seiten: Die Wirtschaft und die Mittelschicht wollen eine Rückkehr zur Normalität, selbst wenn dadurch die Arbeitslosigkeit etwas ansteigen sollte. Der linke Flügel seiner Demokraten hingegen will ein kreditfinanziertes Sozialsystem und ist bereit, die Notenpresse dafür eher noch etwas schneller laufen zu lassen. Vor diesem Hintergrund wurden für den Top Job bei der FED auch einige Namen ins Gespräch gebracht, die für Niedrigzins und Schuldenexpansion stehen.

Es ist an Biden, nun zu entscheiden, ob er Jerome Powell und damit eine konsensorientierte Finanzpolitik bestätigt oder ob er den Weg einer radikaleren Politik nach europäischem Vorbild einschlägt. Biden, selbst ein Mann der Mitte und eher an Konsens denn an Spaltung interessiert, wird zugetraut, dass er an Powell festhält – jedoch unter der Bedingung, ihm nicht mit Zinserhöhungen den nächsten Präsidentschaftswahlkampf zu erschweren.

Für uns als Anleger und Vermögensmanager bedeutet dies alles, dass zum einen die USA wahrscheinlich Richtung Normalität zurückgehen werden. Es bedeutet gleichzeitig, dass Amerika noch einige Jahre das niedrige Niveau zumindest der kurzfristigen Zinsen beibehalten wird. Die Langfristrenditen hingegen dürften in den kommenden Jahren langsam wieder ansteigen.

Stefan Weiß

Stefan Weiß

Leiter Geschäftsbereich Vermögensmanagement, den er aufgebaut und entwickelt hat, und damit verantwortlich für das Beraternetzwerk der Bank, das Haftungsdach als Business-Plattform sowie das Fondsmanagement. Bankkaufmann und Diplom-Ökonom und seit 1994 in leitenden Funktionen für die Kunden der Fürst Fugger Privatbank tätig.

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