Staatliche Regulierungsdämpfer vs. Wachstumsbranchen – langfristiger Blick gefragt
Noch zu Beginn des Jahres erwarteten viele Beobachter vom chinesischen Aktienmarkt ein ähnlich dynamisches Wachstum wie von den Börsen in den USA oder Europa: Die ersten Corona-Wellen waren überstanden und die chinesische „No-Covid-Strategie“ schien zu wirken. Gleichzeitig erholte sich die Weltwirtschaft. Die Aussichten sowohl für die chinesische Volkswirtschaft wie auch die dortigen Aktienmärkte waren also durchaus positiv.
Umso unverständlicher wirkte es auf viele Marktteilnehmer daher, als die chinesische Regierung im Sommer mit harten Maßnahmen den Bildungssektor regulierte. Für Norbert Frey, Leiter Fondsmanagement der Fürst Fugger Privatbank, war die Überraschung weniger groß: „Die chinesische Regierung folgt eigentlich immer einem Plan. Schon zu Jahresbeginn gab es erste Anzeichen dafür, dass sie bestimmte Sektoren stärker regulieren will. Dazu gehörte der Bildungssektor.“ Da die privaten Ausgaben gerade im Bildungssektor extrem hoch seien, habe man breite Bevölkerungsschichten finanziell entlasten wollen. Dahinter habe zumindest auch die Erwartung gesteckt, dass auf diese Weise mehr Geld für den Kauf von inländischen Produkten ausgegeben und die Exportabhängigkeit der chinesischen Volkswirtschaft reduziert werden könne. Mit durchwachsenem Erfolg.
„Das ganze Bündel an Regulierungsmaßnahmen hat dazu geführt, dass sich das chinesische Wirtschaftswachstum unerwartet stark verlangsamt hat“, erläutert Norbert Frey. Das BIP dürfte sich bis zum Jahresende auf einem für westliche Verhältnisse immer noch hohen Niveau von rund 8 % belaufen. Allerdings erwarte laut Frey die Mehrheit der Ökonomen bereits im Laufe des ersten Halbjahres 2022 einen weiteren Rückgang des chinesischen BIP auf 5 %. Dazu hätten sich weitere belastende Faktoren gesellt, gibt Norbert Frey zu bedenken: „Nicht nur die Neuorganisation des Internet- und E-Commerce-Sektors, sondern auch die Probleme des Immobiliensektors haben Chinas Aktienmarkt belastet.“ Selbst ohne die faktisch bereits insolvente Evergrande Group seien die chinesischen Immobilienentwickler seit Jahresbeginn mit Schulden in Höhe von rund 12,7 Milliarden USD in Verzug geraten – ganze 4,7 % des chinesischen Hochzinssektors.
Ein negativer Ausblick sei daher zwar einfach zu begründen, er sei aber auch voreilig, so Norbert Frey: „Wir dürfen die Selbstheilungskräfte der chinesischen Wirtschaft nicht unterschätzen.“ Im Gegensatz zu vielen westlichen Märkten, die von einigen wenigen Playern dominiert würden, sei der chinesische Markt nach wie vor stark fragmentiert. Effiziente und gut geführte Unternehmen könnten strukturell wachsen und ihre Marktposition festigen, meint Frey: „In China besteht eine Vielzahl aufstrebender Branchen und Unternehmen mit langfristigen Wachstumspotenzialen. Die meisten Marktteilnehmer erkennen sie aber nicht, weil sie selbst zu kurzsichtig sind.“ Zu diesen Bereichen gehörten die wertschöpfungsintensive Fertigung und grüne Energien wie der Elektrofahrzeugsektor. Für Frey ist daher klar: „Die strategischen Ziele der chinesischen Regierung mit ihren regulierenden Maßnahmen scheinen die Wachstumssektoren keineswegs zu bremsen, sondern können ihnen sogar einen kräftigen Schub nach vorne verleihen.“